Alle Fachbegriffe
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Foto: Kamag
Scheuerle, Nicolas und Kamag: Drei klangvolle Namen in der Entwicklung der Schwerlasttransporte und der Fahrzeugtechnik. Heute gehören alle der Beteiligungsgesellschaft von Otto Rettenmaier an. Ein Blick in die Geschichte zeigt die ersten Anfänge mit bahnbrechenden Verbesserungen sowie den Aufstieg zu einem weltweiten agierenden Unternehmen.
Zur Kamag-Gruppe gehören auch die Schwesterfirmen Nicolas und Scheuerle. Die Anfänge der beiden Unternehmen reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück. Zunächst war noch die Landwirtschaft das Tätigkeitsfeld von Nicolas. Ins Jahr 1855 fällt die Gründung eines Betriebs für anspruchsvolle landwirtschaftliche Transportfahrzeuge. Christian Scheuerle hingegen will schon bald von der Industrialisierung profitieren, deshalb erwirbt er 1869 in Pfedelbach eine Schmiede. Der technische Fortschritt erfasst auch den Transportsektor, und 1884 kann Nicolas sein erstes Patent für Radmotoren anmelden.
In der dritten Generation gründet Willy Scheuerle seine Fahrzeugfabrik gleichen Namens. Unter der Ägide des Enkels von Christian Scheuerle entstehen 1937 erste Schwerlastfahrzeuge. Bereits zwei Jahre darauf produziert Nicolas außer für die Landwirtschaft bereits belastbare Anhänger, die schwere Industriegüter transportieren.
Bereits kurz nach Kriegsende wartet Scheuerle mit weiteren Neuerungen auf. Erste Tieflader mit Allradlenkung bringt die Firma an den Markt, deren abfahrbare Fahrwerke das Gewerbe revolutionieren. Die bahnbrechenden technischen Konzepte meldet der Hersteller zum Patent an. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten: Schon im folgenden Jahr erteilen die Besatzungsmächte dem Unternehmen einen Großauftrag, sodass Scheuerle mehr als 200 Tieflader an die Alliierten liefert. Auch Nicolas ist währenddessen nicht untätig. 1951 produziert der Hersteller seinerseits erste Tieflader.
Aber die Industriegüter erreichen immer größere Dimensionen, und so steigen auch die Anforderungen an die Beförderungstechnik. In der Folge entwirft Scheuerle Mitte der 50er Jahre die hydraulisch gestützte Pendelachse. Mit diesem Konstruktionsprinzip entsteht die Möglichkeit, mehrere Achsen parallel anzuordnen, und es beginnt die Produktion mehrachsiger Schwerlastfahrzeuge. Noch heute ist die hydraulische Pendelachse das weltweit vorherrschende Prinzip im modernen Schwertransport.
Und auch der Konkurrent Nicolas ist nicht untätig. Der erste 6-Achs-Modultransporter aus dem Jahr 1965 verfügt über einen Schwanenhals, ist mit einer hydraulischen Hubeinrichtung ausgerüstet. Was wiederum Scheuerle motiviert, ein Jahr später auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) den „Willymog“ vorzustellen, das weltweit erste Fahrzeug mit einem hydraulischen Eigenantrieb.
Das Jahr 1969 ist für die Firmengeschichte von besonderer Bedeutung. Nicolas bringt zunächst noch seinen modernen Schwerlasttransporter (mit Pendelachsen) heraus. Dann gründen der Ingenieur Karl Weinmann und der Unternehmer Franz Xaver Kögel die Karlsdorfer Maschinenbau Gesellschaft, kurz Kamag. Deren Geschäftsidee bestand darin, schwere Lasten auf der Straße zu befördern, was flexiblere Abläufe ermöglicht. Erste Sonderfahrzeuge werden an Schiffswerften und Stahlwerke ausgeliefert. Durch den wachsenden Erfolg musste das Unternehmen bereits zwei Jahre später in Ulm größere Räumlichkeiten beziehen.
Kamag entwickelte sich zum bedeutendsten Geschäftsbereich innerhalb der Kögel Fahrzeugwerke. Von der Insolvenz der Muttergesellschaft war die Sparte zunächst nicht betroffen, weil der Unternehmensteil 1991 an die Börse gebracht worden war. Schließlich erwies sich jedoch ein Verkauf als unausweichlich, und im Bieterverfahren setzte sich schließlich Otto Rettenmaier durch, ein Unternehmer aus Heilbronn. In der Folge führte dieser die Kamag mit der Nicolas Industrie und der Scheuerle Fahrzeugfabrik zusammen. Alle drei Firmen wurden Teil der Holding Transporter Industry International.
Aber zurück zu den technischen Aspekten der Firmengeschichte. 1970 konstruiert Scheuerle die hydraulische Vielweglenkung für Schiffsektionstransporter. Damit wird es dem Fahrer in seiner Kabine möglich, mit einem Lenkrad die Pendelachsen um 90 Grad zu drehen. Kamag entwickelt 1971 eine weitere Neuheit, den hydrostatisch angetriebenen Schiffsektionstransporter mit sieben Achsen. Fast 30 Fahrzeuge werden in den nächsten drei Jahren an Werften ausgeliefert.
Die 70er Jahre erweisen sich als besonders fruchtbar für beide Unternehmen. Scheuerle macht 1972 den Anfang mit der weltweit ersten elektronischen Vielweglenkung für einen selbstangetriebenen Schwerlasttransporter. Mit der bahnbrechenden Innovation lassen sich die Achsen in jede nur mögliche Position bewegen. Gleich darauf liefert Nicolas Schiffsektionstransporter aus, die über eine Nutzlast von 150 Tonnen verfügen. Sie sind side-by-side gekuppelt und mit einer Lenkung von 90 Grad ausgestattet. Kamag überzeugt den Markt mit der ersten kuppelbaren Kombination von Schiffsektionstransportern mit einer Nutzlast von zweimal 400 Tonnen. Außerdem stattet das Unternehmen einen Schiffsektionstranspoter erstmalig mit einer elektronischen Vielweglenkung aus.
Im Jahr 1979 erhält Kamag einen ersten Auftrag von der Raumfahrtbehörde NASA für besondere Spezialfahrzeuge. Das neueste Produkt von Nicolas nennt sich „Tractomas“. Die leistungsstarke Zugmaschine ist sowohl für den On- als auch für den Offroad-Einsatz geeignet.
Für Kamag folgen zunächst weitere Aufträge der NASA für den Transport der Kraftstofftanks des Space Shuttle. Nach Russland liefert das Unternehmen den ersten Schlackentransporter mit hydrostatischem Antrieb und 80 Tonnen Nutzlast. Scheuerle kommt 1983 mit zwei Neuheiten: Der Self Propelled Modular Transporter (SPMT) bietet eine elektronische Vielweglenkung. Das Kürzel gilt noch heute als das Synonym für eine Transporttechnologie, mit der in der ganzen Welt schwerste Lasten befördert werden. Im selben Jahr entwickelt Kamag den hydromechanisch angetriebenen, knickgelenkten Schlackentransporter als eine weitere Weltneuheit.
In den nächsten Jahren folgen Beiträge der Firmen zur Umwelt-Technologie und zum autonomen Fahren. Der Geschäftsbereich Umwelttechnik von Nicolas bietet 1988 eine neue Generation von Multifunktions-Fahrzeugen an für die Grünflächen-Pflege. Im selben Jahr stellt Scheuerle ein erstes vollautomatisches fahrerloses Transportsystem (AGV) vor. Nicolas beteiligt sich ebenfalls an der automatisierten Fortbewegung. Sein HYSPEC-Transportsystem ist ein sich selbst steuernder Modultransporter mit einer elektronischen Vielweglenkung. Kamag entwickelt ebenfalls ab 1991 autonome Fahrzeuge, nämlich einen selbstfahrenden Industrie-Glastransporter.
Auch die Europäer werden im Weltraum aktiv. 1994 entwickelt Nicolas drei Spezialfahrzeuge, die im Rahmen des Programms Ariane V zum Einsatz kommen. 1999 vergibt die Boeing Aerospace Industry einen Auftrag an Kamag, Fahrzeuge mit 200 Tonnen Nutzlast zu fertigen. Sie sollen für das Weltraumprojekt Delta Raketenmotoren transportieren.
Die Globalisierung schreitet voran, 2011 transportieren Fahrzeuge von Nicolas 25 500 Tonnen Stahl beim Bau der sieben Kilometer langen Chong-Qi-Brücke im fernen China. Ein Transport auf einem SPMT von Scheuerle in Saudi-Arabien findet – neben vielen weiteren Leistungen - 2012 den Weg ins Guinness Buch der Rekorde. Weitere Entwicklungen folgen. So baut Scheuerle 2014 einen Schiffsektionstransporter mit einer Nutzlast von 1 300 Tonnen und einer Ladefläche von 270 m². Im Jahr 2015 kommt es zu einer ganzen Reihe von Innovationen für den Schwerlastverkehr, die im Verbund von Scheuerle, Nicolas und Kamag gemeinsam bewerkstelligt werden. Die Baureihen „SPMT Split“ sowie „SPMZ Light“ werden dem Markt vorgestellt, ebenso die PowerPackUnit (mit Hybridantrieb) und der „K25 H PowerBooster“.
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